Die 71

71 Menschen verrecken in einem in einer burgenländischen Pannenbucht abgestellten LKW, Leichenflüssigkeit tropft aus den Aufbauritzen, als die Polizei gerufen wird. Diese Leichen sind für uns hierzulande ebenso namen-, gesichts- und geschichtslos wie all jene, die sich seit Monaten kriminellen Fluchthelfern aus dem weiten Osten Europas ausliefern bzw. jenen afrikanischen Schleppern folgen, die sie auf heillos überfüllten Drecksschiffanakeln übers Mittelmeer schippern. Tausende Euro vorab, Wahrscheinlichkeit zu ersaufen inklusive. Aber Unterschied jetzt: die 71 verreckten vor unserer Haustür. Wurden getötet oder ermordet. Wie auch immer. Die Justiz wird der Tragödie in ihrem Justizsprech eine formell formidable Bezeichnung geben.

Die Spitzen der europäischen und nationalen Politik überboten sich jedenfalls mit betroffenen Gesichtern und Worten. Schweigeminuten dort und da. Gesenkte Häupter. Das kann so nicht weitergehen! Aber geh!

Und dann auf einmal Reaktionen in Österreich und Deutschland. Hemdsärmel rauf. Heute staut es sich bis zu 50 Kilometer auf der M1 vor Nickelsdorf, weil Fahrzeugkontrollen, in Bayern bei Suben und auf der railjet-Strecke zwischen Budapest und Wien, weil Hundertschaften von Flüchtlingen, von den Ungarn in Budapest durchgewunken, die Züge stürmten. Dokumentenlos. Aber dann Halt vor der österreichischen Grenze, aussteigen, ab in Flüchtlingsunterkünfte und Versorgung mit all dem notwendigen bürokratischen und humanitären Brimborium.

Riesenaufwand an Geld und Personal. Bundesheer inklusive. Megastaus, Umsteigen auf Regionalzüge, also Reiseerschwernis, volkswirtschaftlicher Schaden und all der Kram.

Ein One-way-Flug von Gaziantep nach Wien kostet mit heutigem Tag 268€. Sagt checkfelix.

Würde man in Europa also hergehen und auf der syrischen Seite südlich von Gaziantep einen EU-Außenposten eröffnen, quasi Asylanträge vor Ort, und dann rasche Behandlung und europäischer Verteilungsschlüssel, Integration in den Arbeitsmarkt, Nutzung des Humankapitals und so, hätten wir nicht eine derartige humanitäre Katastrophe, nicht einen derartigen volkswirtschaftlichen Schaden und man gäbe den rechten Hetzern und ahnungslosen Unheilsschwadronierern nicht ein derartig anlassimmanentes Unterfutter.

Und bis hierher sprechen wir hier nur von jenen vor dem Krieg in Syrien Flüchtenden! Also Anlaufstellen auch in Eritrea, Somalia, Afghanistan und weiß der Geier wo. In den Innenministerien sitzen sich Heerscharen von Beamten ohnehin ihre Ärsche wund. Also Bedarfserhebung und Ausführungsmodalitäten Kinderspiel.

In Kooperation mit Nonprofits und Nongovermentals ließen sich in diesen Vorfeldern auch Auffang-, Flüchtlings- oder von mir aus auch Versorgungslager aufstellen. Ein Ineinandergreifen von Zahnrädern.

Aber solange die europäischen Einzelstaaten aufgrund fehlender europäischer Einheit bzw. fehlender europäischer Leitfiguren samt politischem Willen gezwungen sind nationale Alleingänge zu starten, wird die Misere weitergehen. Der Zaun in Ungarn, die Haltung Finnlands und Großbritanniens, Calais etc.. Separatisten und notgedrungene Eigenbrötler. Die einen idiotischer als das andere, aber erklärbar angesichts der steigenden unverhohlenen rechten Umtriebe und der ausgehöhlten rechten Schwachköpfe.

71 elendiglich verreckte Flüchtlinge mitten in Europa haben erste Schnellschussreaktionen bewirkt, die das herrschende Desaster anzugehen gedenken. Fahrzeug- und Zugkontrollen. Angesichts des Schreckgespenstes des Überlaufenwerdens, nicht des Helfenwollens wohlgemerkt. Im Kielwasser Schlepperausrottung und einigermaßen konzertierte Flüchtlingsversorgung. Ob tauglich oder nicht, werden die nächsten Wochen zeigen. Die 71 hat`s offensichtlich gebraucht.

Vielleicht braucht es noch einige 71-Schaften von erstickten und saftelnden Syrern oder auch Afghanis vor unseren Haustüren, ehe sich die Europäische Union eine ausgewogene, wirksame Flüchtlingspolitik verordnet, die neben Humanität auch Effizienz und Umsicht erkennen lässt. Es gilt, Einheit herzustellen und zu beweisen. Und Alleingänge und Extrawürste a la Großbritannien oder Ungarn zu verunmöglichen, damit die Menschenrechtskonvention zum Wohle der Geschundenen gewahrt bleibt und der europäische Gedanke angesichts der Flüchtlingsströme nicht zerfällt.