Weil die Mindestsicherung neu gerade wieder viele Menschen beschäftigt, die Medien aufregt und ein guter Freund sich zurecht über dieselbe echauffiert und im selben Atemzug Kanzler Kurz und seinen Viize Strache fragt, ob sie sich bei den Betroffenen entschuldigen würden, wenn sich herausstellt, dass 563€ pro Monat (nur für Flüchtlinge, Anm. d. Verfassers) zu wenig sind, um überleben zu können: Ich denke nicht, dass „Entschuldigungen“ eine taugliche Kategorie im politischen Geschäft ist. Ich denke auch, dass diese Frage gar nicht gestellt gehört.
Vielmehr gehört eine andere Frage gestellt. Warum nur auf die Flüchtlinge losgehen? Mehr dazu unten.
Nun. Eines vorweg. Vor vielen Jahren, nach einer veritablen familiären Krise, musste ich über gut zwei Jahre vom Existenzminimum leben, auf das mein Gehalt zusammengestutzt wurde. Lohnpfändung. Das waren um die 700€. Ich weiß es nicht mehr genau. Menschliche Verdrängungsleistung. Was ich aber noch genau weiß: Es war mir nur schwer bis zeitweise nicht möglich, über die Runden zu kommen, hätte ich nicht den einen oder anderen guten Freund gehabt, der mir mal ausgeholfen hat. Dazu Schulden bei der Bank, die an diesen rund 700€ auch noch geknabbert haben. Ich hatte noch einen wunderbaren Menschen, der mich eine beträchtliche Zeit unentgeltlich in einer Wohnung leben ließ. Das privilegierte mich unter meinesgleichen. In solchen Zeiten lernt man viel. Also was es heißt, mit wenig Kohle auskommen zu müssen, weiß ich. Mindestsicherung gab es in der Form nicht. Das der Vollständigkeit halber.
Worauf ich hinaus will: Das System Österreich lässt es zu, dass ein arbeitender Mensch mit einem unkündbaren Job beim Bund, der stets Steuern zahlt, Sozialabgaben leistet, das ganze Programm, derart zusammengestutzt wird, dass eine Existenz an der Kippe steht. Dieser Staat nimmt dir dann auch noch doppelt Krankenkassenbeiträge, weil du einen Zweitjob annehmen musst, um den einen oder anderen Hunderter mal mehr dazuzuverdienen (soll ja jetzt abgeschafft werden).
Eine Entschuldigung vom damaligen Kanzler habe ich nie in Erwägung gezogen, hätte mir auch nichts gebracht.
Was ich gewollt hätte, war eine Systemänderung. In Sachen Krankenkassen, Doppelversicherung und Zusammenführung der Versicherungsträger. Lange vor Sebastian Kurz. Aus eigener Betroffenheit, persönlichem Einblick in diese Aufgeblähtheit und persönlicher Recherche und Analyse. Jetzt tut sich dahingehend etwas und zudem hat dieses System eine Mindestsicherung und ich bin begeistert. Von dem einen, wie vom anderen.
So. Mittlerweile hat dieses System Österreich seit einiger Zeit also eine Mindestsicherung. Die ist super. Die ist toll. Das verstehe ich unter Solidarität.
Jetzt geht die Regierung her und kürzt die Mindestsicherung (vorbehaltlich juristischem Standhalten auf nationaler und europäischer Ebene). Kürzt hauptsächlich nur für Flüchtlinge und Mehrkindfamilien. Für alleinstehende Österreicher bleibt sie gleich. Für österreichische Alleinerzieher wird sie höher.
Konkret in €/Monat:
- Alleinstehende 863 (früher auch) – Flüchtlinge 563
- Alleinerziehende 1179 (früher 1096) – Flüchtlinge 879
- Familie (2 Kinder) 1553 (früher 1760) – Flüchtlinge 1133
- Familie (5 Kinder) 1683 (früher 2459) – Flüchtlinge 1263
– Asylberechtigte haben Anspruch auf Mindestsicherung mit Deutsch auf B1-Niveau oder Englisch auf C1-Niveau.
– Mindestsicherungsbezieher in Österreich: rund 210 000 Menschen (Quelle: Eigenrecherche der Zeitung Kurier)
– Es gibt dann auch noch Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.
Jetzt ist zum einen zu sagen, dass es gut ist, dass sich der Staat die Mindestsicherung leistet und angesichts der Erwerbstätigen in diesem Land auch leisten kann. Das ist schön. Das ist sehr sozial und moralisch vorbildlich, denke ich. Ich bin voll dafür, dass in einem reichen Staat kein Mensch vergessen wird, dass für jeden ein Fangnetz bereitsteht. Meines war damals das „Existenzminimum“. Um die 700€. Wir erinnern uns.
Zum anderen kann man hinzufügen, dass diese Solidarität keine Selbstverständlichkeit in einem Staatswesen ist, wenn man sich mehrere andere Länder auf der Welt ansieht. Dieses wunderbare soziale Netz, das wir in Österreich haben, ist nicht üblich. Nicht in Südamerika, nicht in Südostasien und nicht Afrika und anderswo.
Seit 2015 kommen vermehrt Kriegs- und andere Flüchtlinge zu uns und geben dem System Mindestsicherung unversehens Brisanz und sozialen Sprengstoff. Weil viel höhere Kosten, Leistbarkeit, Nachhaltigkeit und Einwanderungsanreiz. Keine Frage. Dazu Chauvinismus, Nationalismus und Populismus. Wir und die anderen.
Zur Mindestsicherung als soziale Errungenschaft kommt mit den Flüchtlingen auch die Frage nach dem Bezieherkreis, nach Gerechtigkeit, moralischer Vertretbarkeit und gesellschaftlicher Verantwortung hinzu.
Hierbei kann man vieles gegen die „Mindestsicherung neu“ einwenden. Angesichts der obigen Zahlen etwa die Frage: Warum ist das dritte Kind weniger wert als das erste? Oder: Warum erhöht man bei Alleinerziehenden (zugegeben ein sehr soziales Zeichen!), kürzt aber bei Familien mit 2 oder mehr Kindern? Das sind berechtigte Fragen. Die Antworten liegen wahrscheinlich irgendwo zwischen nachhaltiger Leistbarkeit und politischem Signal.
Ich denke, die Stoßrichtung ist angesichts obiger Zahlen klar erkennbar: Zwei und mehr Kinder haben wohl nach landläufiger Meinung vorwiegend Nicht-Österreicher (man kennt die Vorurteile und die Zahlen) und die gilt es, wie die Flüchtlinge auch, zu treffen. Denen will man es ungemütlicher hierzulande machen.
Zudem will man verhindern, dass es sich auch „Einheimische“ in der „sozialen Hängematte“ bequem machen, weil sie ja ohnehin im elterlichen Haus bzw. in der elterlichen Wohnung oder so in der Art umsonst hausen können. Leistung muss sich wieder lohnen. Man will Arbeitsanreize schaffen.
Das ist nicht neu. Das sollte uns jetzt nicht überraschen. Das hat sich schon im Wahlkampf angekündigt und wird jetzt auch durchgezogen. Für derartige Ansagen und Versprechen wurde die Regierung auch gewählt. Jetzt löst sie dies ein. Wir erinnern uns: Wer ins System einzahlt, soll auch von selbigem profitieren, wenn`s ihm mal beschissen geht oder vielleicht gar nichts mehr geht. Ich kenne dieses „beschissen“. Und 863€ wären mir damals auch lieber gewesen als die 700€, die ich trotz eines 40-Stunden-Berufs noch bekommen habe. Aber gut.
Die Kürzungen bei der Mindestsicherung treffen also die Flüchtlinge. Das ist der Punkt, der diskutiert gehört. Nicht die Leistbarkeit des Lebens mit 863€, respektive 563€ für Flüchtlinge.
- Jetzt gibt es hierzulande die, die sagen: Das geht nicht. Das widerspricht den Konventionen. Wir müssen denen helfen. Das muss sich ein reicher Staat leisten können. Er muss es.
- Und es gibt die, die sagen: Das geht sehr wohl. Immerhin haben die nichts ins System eingezahlt. Also sollen sie weniger bekommen und überhaupt froh sein, dass sie überhaupt etwas kriegen. Wir Österreicher müssen gar nichts.
Diese Ansichten gehen diametral auseinander. Die letzte Wahl hat eindeutig gezeigt, wohin der Weg gehen soll. Das ist Faktum. Das muss nicht gefallen.
Warum kürzt man also die Mindestsicherung für Flüchtlinge?
Das ist unverkennbar ein politisches Zeichen, das von der Wählerschaft so eingefordert wurde. Das ist unverkennbar die Umsetzung der Ankündigung, dass man angesichts unseres tollen Sozialsystems Nutznießer von außen nicht mehr anziehen will. Gemeint sind da wohl all die, die über das Mittelmehr oder andere Routen aus Afrika oder den Nahen Osten nach Zentraleuropa ziehen. Zugegeben, 863€ sind für einen in seiner Heimat perspektivenlosen Eriträer aus der Ferne gesehen kein Lercherlschas. Das verdienen dort die wenigsten. Und ein bisserl was heimschicken wird man schon können. So die trügerischen Annahmen. So das gängige Bild. Daraus die gängigen politischen Ableitungen wie oben erwähnt.
Und diese politischen Ableitungen fanden angesichts des Wahlergebnisses wie gesagt großen Widerhall. Und finden ihn noch immer. Laut einer aktuellen profil-Umfrage begrüßen über 70% der Befragten die genannten Maßnahmen in der „Mindestsicherung neu“.
Natürlich kann man jetzt viele Betroffene zu Wort kommen lassen, wie es der Kurier heute Sonntag macht. Das ist gut. Diese Leute brauchen ein Stimme. Ich hätte damals auch gerne eine gehabt. Aber man darf nicht ausblenden, dass 863€ ausreichen, über die Runden zu kommen. Schön ist das nicht. Ich kenne das. Aber es geht. Mit Mühe. Aber auch nur mit persönlichen oder familiären Kontakten oder bei Inanspruchnahme von Wohnbeihilfen bzw. Wohnkosten- und/oder Heizkostenzuschüssen, die seitens der Bundesländer angeboten werden. Die gibt es ja auch. Anzapfen kann man staatseidank mehrere Hähne. Der Staat hat mittlerweile wunderbare soziale Systeme.
Ich denke dennoch nicht, dass es die zentrale Frage in all der aufgeregten, aktuellen Diskussion sein sollte, ob man mit der Mindestsicherung neu auskommen kann. Diese Frage stellen sich die politisch Verantwortlichen wohl auch nur am Rande.
Es soll ja eine Maßnahme sein, die „Arbeitsbereitschaft“ der Bezieher zu erhöhen (da spielt auch das Hickhack mit dem AMS hinein), aber dennoch auch zu zeigen, dass die engen Maschen des sozialen Netzes nicht vergrößert werden sollen, damit mehr durchfallen. Nein. Die „Unsrigen“ sollen eh weiter so gestützt werden. Die Flüchtlinge aber nicht so weit. Die sollen ruhig leichter durchfallen, für die soll es unbequemer werden. Oder besser: Die sollen gar nicht mehr kommen. Für die „Unsrigen“ bleibt ja eh alles gleich – siehe Alleinstehende und Allleinerzieher in der Mindestsicherung.
Das ist nicht schön. Nein. Das muss einem nicht gefallen. Mir auch nicht. Aber der Regierung geht es um obige Ansätze und Ankündigungen. Und da kann man noch so viele Frau Annas, Renés oder Marias in Tageszeitungen zu Wort kommen lassen. Deren 863€ werden ja eh nicht angegriffen. Wenn sie ein Kind und keinen Partner haben, bekommen sie sogar 80€ mehr. Da gehen die Zeitungen einer Form des Populismus auf den Leim.
Die eigentliche zentralen Fragen in dieser aufgeregten Diskussion sollten sein: Warum behandeln wir Flüchtlinge künftig als Menschen zweiter Klasse? Warum geben wir denen, die mit nichts zu uns kommen, nicht nur überhaupt weniger Chancen, sondern aus unseren Sozialtöpfen jetzt auch noch weniger Kohle? Und wie moralisch verwerflich ist das eigentlich?
Der Umgang einiger aufgeregter Medienvertreter mit diesem Thema ist meines Erachtens nicht genau genug. Nicht die Kürzung an sich ist furchtbar. Sie ist deswegen furchtbar, weil sie zu einem sehr sehr sehr hohen Prozentsatz die Flüchtlinge trifft und selbige zu Menschen zweiter Klasse macht. Das finden über 70% super. Das ist das eigentlich Bedenkliche.
Und ich wette, dass eine oben genannte Maria oder Anna da und dort daran gar keinen Anstoß nimmt, wenn man sie danach fragen würde.